Lebensmittel online: Ein deutsch-französischer Vergleich
Der deutsche Online-Lebensmittelhandel tut sich nach wie vor schwer. Weder die großen Supermarktketten noch die Online Pure Player haben das wahre Rezept gefunden, wie der deutsche Kunde von den Vorteilen des Lebensmitteleinkaufs via Internet überzeugt werden kann. In anderen Ländern, wie beispielsweise Frankreich, ist der Lebensmittelhandel jedoch schon deutlich weiter fortgeschritten. Ein guter Anlass, sich die beiden Märkte mal etwas genauer anzuschauen…
Die REWE-Gruppe hat sich des Themas Online-Verkauf zwar bereits vor einiger Zeit angenommen, liefert aber nach wie vor nur in begrenzte Ballungsräume und bietet deutschlandweit gerade mal 14 Abholmärkte an. Edeka versteckt sein von Edeka Südwest betriebenes Angebot Edeka24.de unter einer eigenen Domain, auf die von der Edeka-Website aus nicht einmal verlinkt wird. Dass Edeka 24 deutschlandweit liefert, findet man nur heraus, wenn man aktiv danach sucht – nach der Angabe „Willkommen im offiziellen Onlineshop der EDEKA Südwest“ dürfte sich so mancher Interessierte aus Hamburg oder Berlin aber bereits wieder verabschiedet haben. Und auch das Sortiment ist – angesichts des Logistikkonzepts verständlich – eingeschränkt: In der Kategorie „Frisches“ finden sich im Edeka-Shop gerade mal vier verschiedene Sorten Kartoffeln… Kaiser’s Tengelmann wiederum betreibt mit bringmeister.de einen Vollsortiments-Shop, der ausschließlich in ausgewählte Postleitzahlenbereiche von Berlin und München liefert. Immerhin ist der Service bei Auswahl der Region Berlin oder München auf kaisers.de verlinkt – allerdings erst nach ausgiebiger Ladezeit in der hintersten Ecke der ausladenden Startseite…
Pure Player – zwischen Insolvenz und Aufbruchstimmung
Und die Online-Pure Player? Während der Branchen-Pionier froodies bereits 2012 Insolvenz anmelden musste, starteten einige neue Anbieter. Der 2011 gegründete Lebensmittel-Lieferdienst allyouneed.com wurde Ende 2012 von DHL übernommen, hat also neuerdings große Finanz- und Logistikpower im Rücken. Eine Finanzspritze erhielt kurze Zeit später auch der Online-Supermarkt food.de. Auch food.de beliefert nur ausgewählte Gebiete, das belieferte Gebiet hat sich seit der Finanzspritze aber deutlich erweitert: neben Berlin und Leipzig gilt das Lieferangebot laut Website nun auch für Frankfurt/Main, München und Hamburg sowie in Köln und Umland, Düsseldorf und Umland und im Hochtaunus- und Main-Taunus-Kreis. Und auch über die genannten Gebiete hinaus nimmt der Online-Shop die ein oder andere Postleitzahl an – so zum Beispiel auch in Bonn. Das Berliner StartUp saymo.de, das bereits 2010 an den Markt ging, hält sich mit einem innovativen Konzept und diversen Mehrwertdiensten wacker neben diesen großen Anbietern: saymo liefert aus einem recht großen Sortiment deutschlandweit und sogar ins Ausland, Kühlthekenartikel sucht man auch hier allerdings vergeblich.
Erfolgskonzept Drive-In
Während der deutsche Markt also noch schwer kämpft, ist der Lebensmitteleinkauf über‘s Netz in Frankreich bereits zur Selbstverständlichkeit geworden. Nahezu alle großen Vollsortimenter bieten irgendeine Form des Online-Services an. Ein rasantes Wachstum legen dabei vor allem die Drive-In-Supermärkte hin. Noch vor vier Jahren betrieb etwa die Supermarktkette Auchan unter den Labels Chronodrive und Auchan Drive ca. 40 Abholmärkte – inzwischen sind es viermal so viele. Und neben den aktuell ca.160 Drive-In-Märkten sind bereits 11 weitere in Vorbereitung. Konkurrent E. Leclerc ist sogar noch schneller gewachsen: waren 2010 noch knapp 50 Abholmärkte im Einsatz, sind es heute über 450.
Dabei sind Auchan und E. Leclerc noch nicht einmal die Platzhirsche auf dem französischen Drive-In-Feld. Mit 768 Abholmärkten führt LeDriveIntermarché die beeindruckende Statistik an, dicht gefolgt von Système U: unter CoursesU.com können Bestellungen für 756 Märkte landesweit aufgegeben werden. Insgesamt stellen die zwölf größten Unternehmen in Frankreich inzwischen knapp 2.900 Abholmärkte zur Verfügung.
Ein Selbstläufer scheint das Konzept dennoch nicht zu sein: ab und zu werden auch mal einzelne Märkte geschlossen. So schlossen z. B. die ansonsten im Wachstum befindlichen Ketten Auchan und Système U im November jeweils zwei Märkte. Die Schließungen sind angesichts des rasanten Wachstums nicht wirklich verwunderlich – es wäre kaum das erste Mal, dass im Eifer des Gefechts anderswo funktionierende Erfolgskonzepte mit allzu optimistischen Schätzungen auf Gebiete ausgeweitet werden, die nicht genügend Potenzial hergeben. Die beiden geschlossenen Chronodrive-Märkte lagen in der strukturschwächeren Region des Elsass, wo die verhältnismäßig geringe Einwohnerdichte wohl einfach nicht genug Kunden an die Abholschalter brachte.
Flexibel und komfortabel
Selbstverständlich ist in den französischen Drive-In-Märkten das gesamte Sortiment inklusive gekühlten und tiefgekühlten Artikeln online bestellbar und die Ware kann ohne Aufpreis im gewünschten Markt abgeholt werden. Das ist häufig bereits ab ab 2 Stunden nach Bestellung möglich und wird in der Regel minutiös geplant: der Kunde wählt einen Zeitkorridor, in dem er die Ware im Markt abholen möchte. Je nach Kapazität des Marktes haben diese Zeitkorridore teilweise ein limitiertes Kontingent – wenn alle Abholslots eines Zeitraums belegt sind, muss der Kunde auf einen anderen Termin ausweichen. Vielleicht nicht immer die perfekte Lösung für Kunden, die viel Wert auf Flexibilität legen, aber immerhin eine gute Möglichkeit, die Durchlaufzeiten der Abholung gering zu halten und lange Schlangen an den Abholstationen zu vermeiden.
Lieferservice in Ballungszentren
Während sich etwa E. Leclerc und Auchan auf die Abholmärkte konzentrieren, bietet beispielsweise Carrefour neben inzwischen ca. 350 Drive-In-Märkten (15 weitere sind aktuell in Vorbereitung) auch einen nahezu gleichwertigen Lieferservice. Der ist allerdings auf einzelne Ballungsgebiete beschränkt: lediglich in Paris und der umliegenden Île de France, in Grenoble, Chambéry, Marseille, Nizza und Annecy sowie in Lyon und Umgebung kann man sich die Lebensmittel von Carrefour nach Hause liefern lassen. Den Lieferservice lässt der Händler sich mit nach Regionen, Einkaufshäufigkeit und Warenkorbwert gestaffelten Lieferkosten zwischen 0 EUR und 9,95 EUR bezahlen, darüber hinaus sind die Produkte im Liefershop von Carrefour alle ein kleines bisschen teurer als in der Drive-In-Variante.
Auch Système U und LeDriveIntermarché liefern aus ausgewählten Märkten nach Hause – zu festgelegten Lieferzeiten, die der Kunde aus den verfügbaren Korridoren auswählen kann. Sowohl für selbst abgeholte als auch für gelieferte Ware garantiert Système U dabei denselben Preis wie beim Einkauf im Markt.
Woran liegt’s?
Stellt sich die Frage: Warum funktioniert dieses Konzept so unglaublich gut in Frankreich – und so schlecht in Deutschland? Worin unterscheiden sich die deutschen und die französischen Kunden? Und was machen die französischen Händler anders als die deutschen?
Ein Grund für das grundsätzlich eher geringe Interesse an Lieferdiensten für Lebensmittel dürfte die hohe Supermarktdichte in Deutschland sein. In kaum einem anderen Land gibt es so viele Supermärkte pro Quadratkilometer – selbst in ländlichen Gegenden muss man selten mehr als 10 Minuten zum nächsten Supermarkt fahren.
Wer schon einmal in Frankreich im Urlaub war, merkt schnell, dass die Einkaufsinfrastruktur dort eine andere ist. Die Supermärkte sind in der Regel deutlich größer als hier, dafür aber auch seltener. Und dass man eine halbe Stunde bis zum nächsten Supermarkt fahren muss, ist in ländlichen Gebieten keineswegs die Ausnahme.
Als Erklärung für den Erfolg des Konzepts in Frankreich eignet sich dieser Aspekt jedoch kaum, denn erstens müssen die Kunden zu ihrem Drive-In-Supermarkt ja immer noch hinfahren, und zweitens sind auch in Frankreich Lieferangebote in strukturschwache Gebiete die absolute Ausnahme.
Mag sein, dass es interkulturelle Unterschiede gibt, die sich zur Erklärung heranziehen lassen könnten, wie z. B. dass der Deutsche seine Tomaten einfach gerne selber aussucht. Mag aber auch sein, dass die französischen Supermarktketten einfach einen längeren Atem bewiesen und auf die richtigen Knöpfe gedrückt haben. Zum einen haben sie deutlich früher angefangen: Den ersten Drive-In-Supermarkt hat Auchan bereits im Jahr 2000 eröffnet. Die REWE-Gruppe dagegen startete ihren ersten Testmarkt in Köln ganze 9 Jahre später.
Zum anderen hat man den Eindruck, dass die deutschen Händler auch heute noch das Thema eher als ein notwendiges Übel denn als Chance betrachten. Wer die Website der französischen Kette Carrefour besucht, bekommt oberhalb der Navigationsspalte groß und prominent die verschiedenen Möglichkeiten des Online-Einkaufs präsentiert. Gut sichtbar platzierte Werbe- und Infovideos erläutern auch zögerlichen Kunden, wie einfach das Abholsystem funktioniert. Anders in Deutschland: Wer etwa den Webseiten von Edeka oder Kaiser’s einen Besuch abstattet, dem dürfte es problemlos gelingen, die Seite wieder zu verlassen, ohne auch nur den Hauch eines zu Verdachtes zu schöpfen, dass sich hier online einkaufen lässt. Wenigstens findet sich auf rewe.de im zweiten Reiter direkt der „REWE Shop“ – aktive Vermarktung jedoch sieht anders aus.Bleibt abzuwarten, ob die auch in Deutschland inzwischen leicht steigende Tendenz des eFood-Sektors den Unternehmen den Mut verleiht, sich mit Engagement, frischen Ideen und einem an den Bedürfnissen des Kunden ausgerichteten Konzept in den Markt zu stürzen. Laut Mohamed Mosavi, Geschäftsführer des eFood-StartUps saymo.de, ist die Nachfrage seitens der Kunden durchaus da – der Ball liegt also im Feld der Händler…
KF / msh
Mehr zum französischen eCommerce, zu französischen Regionen, zum französischen Recht etc. gibt’s in der Blogparade im Rahmen des Themenschwerpunkts Frankreich.
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Hallo Katja, vielen Dank für diesen sehr interessanten und fundiert recherchierten Artikel. Es ist sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Entwicklungen von Land zu Land sind, selbst wenn es der direkte Nachbar ist.
Ich gehe auch davon aus, dass die Nachfrage hier in Deutschland da wäre. Mal schauen, wie sich das alles entwickeln wird. Vor allem auch im Anbetracht einer immer älter werdenden Gesellschaft wäre es schön zu wissen, dass sich hier in D. mehr in dem Bereich tut.
Viele Grüße, Friederike Gonzalez
Hallo Friederike,
ja, das stimmt, die Unterschiede sind wirklich sehr spannend. Ich frage mich auch öfter, ob ich selber wohl Lebensmittel online einkaufen würde, wenn das Angebot stimmen würde… :-). Bislang bin ich noch nie auf die Idee gekommen – aber bei den halbherzigen Angeboten, die es hier bislang gibt, ist das wahrscheinlich kein Wunder…
Herzliche Grüße
Katja
Hallo Katja,
sehr informativer und interessanter Artikel. Ich prognostiziere, dass online Supermärkte in der Zukunft stark kommen werden.
Eventuell ist es ja schon bald möglich 3D sich die Produkte zuhause anzuschauen, warum sollte man dann noch Zeit verschwenden mit einer Fahrt zum Supermarkt.
Lg Christian